Air Doll: Was uns eine Sexpuppe über das Mensch-Sein verrät

Wasser ist der Ursprung alles irdischen Lebens. In Hirokazu Kore-edas Film Air Doll ist es zwar kein Wasser, das die von ihrem Eigentümer Nozomi genannte Sexpuppe zum Leben erweckt, aber ein Regentropfen entlockt ihr das erste Wort: „schön“. Tatsächlich macht Nozomi im Verlauf ihrer Menschwerdung, die von der Südkoreanerin Bae Doona eindrucksvoll immer lebendiger werdend gespielt wird, einige schöne Erfahrungen. Sie baut Sandkugeln im Sandkasten mit einem Kind, schminkt sich, kauft Kleider und besucht das Meer. Sie verliebt sich. Auch bereichert sie das Leben vieler Menschen. Aber die Einsamkeit und Desillusioniertheit der Menschen, die im Film allgegenwärtig ist, überträgt sich langsam auch auf Nozomi.

Diese Momente durchziehen den Film und hüllen ihn in ein melancholisches Gewand. Sehr treffend hängt Nozomi in der Videothek, in der sie zu arbeiten beginnt, eine Zeichnung mit einem weinenden Mädchen zu den Filmen, bei denen unter anderem Rob Reiners Verfilmung von Stand by me steht. Während die Protagonisten in Stephen Kings Coming-of-Age Abenteuergeschichte ihr Leben noch vor sich haben, zeigt Kore-eda uns einsame und beinahe anonyme Menschen, die längst ihre Hoffnung begraben und teilweise ihre Unschuld verloren haben. Das fügt sich passend in sein Werk ein: Der hierzulande eher unbekannte, aber vielfach auf Festivals ausgezeichnete japanische Drehbuchautor und Regisseur widmet sich in seinen Filmen immer wieder emotional dem Themenkomplex Mensch in unterschiedlichen Facetten. Frühere Filme von ihm wie Licht der Illusionen und After Life aber richten den Fokus auf die Vergangenheit und Erinnerungen, Air Doll hingegen wendet den Blick ohne kitschige Illusionen oder Schönfärberei auf die unumkehrbare Gegenwart.

Dabei hat Air Doll vordergründig viel von Die fabelhafte Welt der Amélie: Soundtrack, Atmosphäre, die märchenhaft-poetische Entwicklung der Geschichte, all das erinnert stark an Jean-Pierre Jeunets Wohlfühlfilm. Wo aber Jeunet eine zuckersüße Geschichte erzählt, interessiert sich Kore-eda eher für existentialistische Fragen. Auch die musikalische Untermalung von Katsuhiko Maeda, der mit seinem Projekt World’s End Girlfriend den Soundtrack zu Air Doll komponiert hat, dringt trotz aller Gemeinsamkeiten mit Yann Tiersens Instrumentalisierung bei Amélie viel häufiger in den Moll-Bereich vor. Damit strahlt Kore-edas Drama eine leichtfüßige Schwermut aus, die im Medium Film selten zu finden ist. 

Air Doll ist an einfachen Antworten oder Erklärungen nicht interessiert

Es passt zu eben dieser emotionalen Geschichte, dass Air Doll mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Kore-edas Film bezieht seine Spannung weniger aus äußeren handlungstreibenden Narrativen als vielmehr aus dem vielschichtigen Innenleben der Menschen, denen Nozomi begegnet, und über das die Zuschauer*innen aber eben lediglich elliptische Informationen erhalten. Überhaupt ist der Film nicht an einfachen Antworten oder Erklärungen interessiert, dafür ist das Setup zu komplex und eine übergeordnete Thematik nur im Groben erkennbar. Kore-eda hat sich der Frage „Was macht den Menschen aus?“ überaus assoziativ und asymptotisch genähert. Und so bleibt das Märchen auch letztlich nicht gänzlich greifbar.

Wer also einen Film mit einer stringenten Handlung oder gar einem Spannungsbogen erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden. Wer sich hingegen auf Air Doll einlässt, wird mit einer meisterhaften, wunderschönen und tieftraurigen Reflexion über den Menschen belohnt. Und eben genau dieses reflexive Mäandern im Menschsein macht den Film besonders und absolut sehenswert, nicht nur für Cineasten oder Japanophile.

Air Doll (2009) ist als amerikanische Blu-ray Disc mit japanischer Tonspur und englischen Untertiteln verfügbar.

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