Neu im Kino: „Synonymes“ von Nadav Lapid

„Synonymes“, der Wettbewerbsgewinner der Berlinale 2019, lässt sich auch nach mehrmaligem Drüberschlafen nicht so ganz verdauen. Und das trägt nicht unwesentlich zu seinem Reiz bei. Regisseur Nadav Lapid erzählt die autobiographisch inspirierte Geschichte von Yoav, einem verstörten, vermutlich traumatisierten Israeli, der nach Frankreich auswandern und seine jüdisch-israelische Identität auslöschen will. Wer hier allerdings ein politisches, gar antizionistisches Statement herauslesen will, macht es sich zu einfach. Dafür ist die Inszenierung viel zu individuell, widersprüchlich und vielschichtig.

Was der junge Mann als ehemaliger Soldat erlebt, erlitten oder begangen hat, bleibt so nebulös wie sein Motiv, mit seiner Heimat und seiner Familie zu brechen. Flieht er vor eigenen Taten? Befürchtet oder hofft er gar, dass Israel untergeht? Sein Trotz, nie mehr hebräisch sprechen zu wollen, erscheint kindisch. Auf seine aus dem Wörterbuch abgelesenen Hasstiraden gegen sein Vaterland („schmutzig, widerlich, derb, abscheulich, niederträchtig…“) entgegnet ein französischer Freund lakonisch: „Kein Land ist das alles zugleich. Such Dir was aus!“ Überhaupt begegnet ihm in Paris vor allem Freundlichkeit – von Nachbarn, Juden, Botschaftsangehörigen, Nachtschwärmern. Auch Vater und Schwester daheim sorgen sich um den verlorenen Sohn. Als Identifikationsfigur taugt der vermeintliche Held nicht, erscheinen seine Bekundungen und Taten doch zunehmend inkonsequent und erratisch. Zwar werden die islamistischen Terroranschläge, die Frankreich in den letzten Jahren erschüttert haben, kursorisch erwähnt. Doch die Juden im Film provozieren den Antisemitismus stets selbst, ohne freilich damit Erfolg zu haben. Eine fragwürdige Perspektive, denn in der Realität sind erschreckend viele französische Juden in den letzten Jahren aus Angst vor Übergriffen nach Israel ausgewandert. Kritischer, konkreter und bisweilen auch platter karikiert der israelische Regisseur allerdings das französische Einbürgerungsverfahren und die Treueschwüre, die man den Einwanderern abverlangt. Darüber hinaus erzählt der Film auch noch eine sehr französische Ménage-à-trois-Liebesgeschichte und beglückt das Publikum unverhofft mit zwei mitreißenden Tanzszenen. Viel zu schauen und zu grübeln also.

Hauptdarsteller Tom Mercier spielt den wie ein Alien in Paris aufgeschlagenen Narr mit eindrücklicher Vehemenz und stoischer Komik. Dass „Synonymes“ in seinen Aussagen und Motiven durchlässig und vage bleibt, Missverständnisse nicht um jeden Preis vermeidet und das Publikum mit vielen Fragen entlässt (also: nicht belehrt, sondern auf Augenhöhe adressiert), spricht – gerade auch bei einem sensiblen, polarisierenden Thema wie hier – für seine Kunst. Eindeutige Aussagen und unmissverständliche Botschaften gibt’s ja schließlich schon genug im Kino.

„Synonymes“ | Frankreich, Israel, Deutschland 2019 | Drama | 2:03 h | Kinostart: 5. September 2019

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