Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!

Die Subkultur der 80er Jahre im Zerrspiegel von Oskar Roehlers Westberlin-Erzählungen

In den letzten zwanzig Jahren stößt man in der Literatur, aber auch im Film zunehmend auf retrospektive Verarbeitungen der Westberliner Subkultur zwischen Memoiren, Hommage und exploitativer Inszenierung. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür sind die egozentrischen Erinnerungsstücke des Regisseurs und Autors Oskar Roehler.

In seinem Roman Mein Leben als Affenarsch und dem daran motivisch angelehnten Spielfilm Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!, beide 2015 erschienen, zeichnet Roehler sein junges Alter Ego „Robert Rother“ (Tom Schilling) als isolierten Außenseiter. Dieser scheitert an seinen schriftstellerischen Ambitionen und erlebt die Westberliner Szene nur als Statist. Im Anschluss an seinen Drei-Generationen-Familienroman Herkunft, verfilmt als Quellen des Lebens (2013), suggeriert Roehler auch in seiner Verarbeitung der 80er Jahre eine autobiographische Authentizität, die sich bei näherem Blick klar einem fiktionalen Formungswillen unterordnet. In Interviews hat er den Faktengehalt seiner Romane stets kleingeredet. Als öffentliche Künstlerperson trat Roehler zu jener Zeit noch nicht in Erscheinung.

Selbstverfickungen – die literarische Autofiktion von Oskar Roehler in (bislang) vier Bänden

Wunderliche Aliens

Film ab. Einblendung: „Anfang 80er Jahre“. Auf einem Internat in der Provinz treffen wir auf eine Parade von kiffenden Hippies, meditierenden Bhagwan-Jüngern und aufgedrehten Friedensbewegten. Ein aknegeplagter schwuler Neonazi mit Schäferhund, Roberts Zimmergenosse (Frederick Lau), lässt sich im Park heimlich von einem Ledermann penetrieren. Robert lässt schließlich als neugeborener Punk mit Stiefeln, Ledermantel und frisch geschorenem Irokesenhaupt das verhasste Schulgelände hinter sich. Unterdessen betritt ein Amokläufer mit Maschinengewehr das Gebäude und schießt die letzten Spuren von Roberts Vergangenheit zusammen. In Westberlin angekommen, heuert Robert im Peepshow-Schuppen seines alten Freundes Schwarz (Wilson Gonzales Ochsenknecht) als Aushilfe an. Er putzt die frischen Spermaschlieren von den Scheiben der Wichskabinen und besorgt den Tanzmädchen backstage Schweinebraten. Zur Stammkundschaft zählen neben dem Regierenden Bürgermeister und Roberts Sachbearbeiter vom Sozialamt auch Nick Cave (Marc Hosemann) und Blixa Bargeld (Alexander Scheer).

Später in der Szene-Bar Risiko stehen die Gäste voll auf Speed mit aufgerissenen Augen an der Wand, während Blixa hinter der Theke Wassergläser bis zum Rand mit Wodka füllt. Die Einstürzenden Neubauten führen ihr Stück „Sehnsucht“ auf. Blixa faucht und barmt, FM Einheit klöppelt dazu auf Stahlträgern, das Publikum staunt ergriffen. In diesem Moment wird das Tolle und Tollwütige dieses Mikrokosmos, aber auch sein Irrwitz durchaus greifbar. Roehler präsentiert die aus seiner Sicht dominanten Akteure der Subkultur nicht aus einer Nahsicht, sondern als wunderliche Aliens. Deren ausdrucksstarke Selbstbedröhntheit fasziniert, wirkt aber vor allem komisch. Bargeld, Cave, auch der später kurz in einem Schwulenclub in Erscheinung tretende Rainer Werner Fassbinder sind aus dem Klischeestoff ihrer öffentlichen Persona gewirkte Comicfiguren. Ernster wird der Ton nur stellenweise, wenn Robert sich auf eine hoffnungslose Romanze mit einer heroinsüchtigen Stripperin einlässt oder er sich mit Mordphantasien gegen den totalen Liebesentzug seiner Eltern wehrt.

Autoaggressive Teufelsaustreibung

Der sprachmächtige Nihilismus des Romans Mein Leben als Affenarsch hingegen, die Einsamkeit, Egomanie und Verzweiflung des scheiternden Künstlers, das mal frühkindlich faszinierte, mal von sich selbst schockierte Suhlen in Blut, Sperma und Fäkalien, die Entblößung und Selbstverletzung seines kaputten Alter Ego, die Roehler hier wie eine autoaggressive Teufelsaustreibung beschwört… Das alles geht im Film verloren. Tom Schilling als Robert ist stets auf Achse, immer in Interaktion. Ganz zum Schluss sitzt er auf einer LKW-Ladefläche irgendwo in der Wüste hinter Kairo. Der Wagen stoppt für einen weiteren Passagier. Und wie der Zufall es so will, steigt ausgerechnet Schwarz auf, den es ebenfalls in die Gegend verschlagen hat, und begrüßt seinen alten Freund mit „Alter, was machst Du in fuckin’ Egypt?!“ Wer darüber nicht lachen kann, wird bei Tod den Hippies!! Es lebe der Punk! insgesamt wenig Freude haben.

Anders als die Romanvorlage zählt Tod den Hippies!!… somit zu den filmischen Rückschauen der letzten Jahre, die die Westberliner Subkultur in ein eher nostalgisches, diffuses Licht tauchen und ihre zunehmende Musealisierung befördern. Roehler vermittelt als Regisseur seiner eigenen Geschichte einen durchaus eigensinnigen, allerdings auch gefilterten, verzerrten und dramatisierten Zugang zur damaligen Zeit. Ästhetisch ordnet sich der Film weitgehend der Kompromissformel unter, nach der offenkundig seit einigen Jahrzehnten eine Vielzahl der mittelgroß budgetierten deutschen Spielfilmproduktionen kalkuliert wird. Vom anarchischen Ausnahmezustand dieser Dekade vermag er so nur wenig zu vermitteln. Und vielleicht muss er das auch nicht mehr. Denn das, was Roehler mittlerweile vor allem in seinen Romanen noch auf bisweilen etwas forcierte Weise an Provokationslust und ausgestellter Kaputtheit beschwört, steckt alles bereits in konzentrierter Form und erschreckender Drastik in Gentleman, seinem Regiedebüt von 1995.

Editierter Auszug aus dem Essay „Kaputniks auf Speed. Westberlin zwischen Post-Punk und Retro-Exploitation“, erschienen in „Berlin Visionen. Filmische Stadtbilder seit 1980“ von Stefan Jung und Marcus Stiglegger (Hrsg.)

Das Buch ist im November 2021 im Martin Schmitz Verlag erschienen und hier bestellbar.

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