Subkultur Westberlin – Wolfgang und Max Müller im Gespräch

Wer eine Geschichte der wilden, widersprüchlichen, queeren und anarchistischen Zeiten Westberlins erzählen will, kommt am Familiennamen Müller kaum vorbei. Praktisch, dass Wolfgang Müller das Standardwerk zu diesem Thema gleich selbst geschrieben hat. Er und sein jüngerer Bruder Max zogen einst von Wolfsburg nach Berlin, um sich in den engen Grenzen der Mauerstadt eine maximale Denk- und Aktionsfreiheit ihrer Kunst zu erobern. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Mittel und Ziele eint sie die Integrität ihrer Arbeiten, die Originalität ihres Denkens, das auch gängige Freund-, Feind- und Rollenbilder hinterfragt, ihre streitbare Haltung, die auch in ihrer Vorliebe für eine klare, unprätentiöse Sprache zum Ausdruck kommt – und nicht zuletzt ein oft verdeckt operierender, subversiver Humor. Im Interview erzählen die Brüder von ihrer Jugend in Wolfsburg, ihren individuellen Wegen in der Westberliner Subkultur und ihrem Verständnis von Authentizität und Demokratie in der Kunst.

(Foto: F. Castenholz)

Wolfgang Müller (Jg. 1957), begann 1979 ein Studium an der Berliner Hochschule der Künste und gründete dort mit seinem Kommilitonen Nikolaus Utermöhlen die offene Künstlergruppe Die Tödliche Doris. Diese war ein wichtiger Impulsgeber der Berliner Post-Punk-Szene, bewegte sich klanglich-konzeptionell jedoch in einer ganz eigenen Welt, die eher an Marcel Duchamp als Johnny Rotten anschloss. So war Musik neben Video, Fotografie und Performance nur eines von vielen Medien zur Umsetzung einer Philosophie, die im 1982 publizierten Manifest Geniale Dilletanten (sic!) niedergelegt ist. Doris’ faszinierende Produkte wider den professionellen Ernst spielten mit Materialien, Gesten und Erwartungen der Kunst- wie der Popwelt, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Nach der Auflösung von Doris im Jahr 1987 schuf der umtriebige Künstler und Autor unter eigenem Namen ein reich ausdifferenziertes und doch in sich schlüssiges Werk, das sich unter anderem mit Island, Elfen, Popmusik, gehörloser Kultur, Vogelkunde und Politik befasst. 2013 zeichnete Müller in dem Buch Freizeit. Subkultur Westberlin 1979-1989 ein so facettenreiches wie meinungsstarkes Portrait der dortigen Helden, Mitläufer, Aufschneider und Antagonisten zwischen Post Punk, Queerness und Gegenkultur. Im Jahr 2018 erschien seine Essaysammlung Aus Liebe zur Kunst.

(Foto: Simone Haack)

Max Müller, der jüngere Bruder (Jg. 1963), folgte 1981 nach Berlin. Bei der Tödlichen Doris half er am Schlagzeug aus und realisierte bald mit ihr ein erstes Kurzfilmprojekt: Das Leben des Sid Vicious, in dem zwei Kinder die blutige Tragödie um das Punk-Pärchen Sid und Nancy nachspielen. Während das Hakenkreuz auf dem Kinder-T-Shirt die Obrigkeiten auf den Plan rief, sahen manche bierernste Punks ihr Idol auf Kindergröße geschrumpft. Im gleichen Jahr erschien die EP seiner Punkband Honkas, es folgten zahlreiche Veröffentlichungen mit Campingsex, Mutter und solo, Soundtracks unter anderem für Jörg Buttgereit, weitere Filme, Bilder und eine Kurzgeschichten-Sammlung. Seine Zeichnungen und Gemälde, die in Galerien wie auf Plattencovern zu finden sind, bewegen sich oft in einer Grauzone zwischen Porträt und Karikatur. So arbeitet Müller bei Personen des Zeitgeschehens mit perspektivischen Verzerrungen und eröffnet so einen neuen Blick auf äußerliche wie innerliche Eigenheiten. Auch Max Müllers Einflusssphäre ist beeindruckend: Sonic Youth beriefen sich in ihrer formativen Phase auf Campingsex, für Blumfeld war Mutter wichtige Inspiration, für die Hamburger Schule (in der Regel allzu) hohe Messlatte. Mit Der Traum vom Anderssein erschien 2017 das dreizehnte Album von Mutter.

Ihr seid in Wolfsburg in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Wie kommt es, dass Ihr beide Künstler geworden seid?

Max: Ich habe immer das gemacht, was mir am meisten Spaß gemacht hat, und das war tatsächlich Malen und Musik. Die Stadt Wolfsburg hat das total begünstigt. Wenn man in so einer Stadt lebt, das ist so öde und dröge, man entwickelt Mechanismen, viele Sachen selbst zu machen. Wir haben selber Festivals organisiert. Und ich habe den Leuten T-Shirts gemalt von den Ramones oder irgendwelchen ausgedachten Sachen.

Wolfgang: Bei mir war das der Kontakt zur Städtischen Galerie in Wolfsburg. Da gab’s moderne Kunst. Der Galeriedirektor hatte Platten von Velvet Underground und Otto Muehl. Ich habe dort auch die ganzen Bücher vom März Verlag entdeckt, SexfrontACID, Valerie Solanas’ Scum, also diese neuere amerikanische Popliteratur. Über die Kunst hat sich ein Fenster aufgetan, sodass ich merkte, es gibt also noch andere Sachen als diesen Stumpfsinn hier. Den Rest der Zeit habe ich mit Vogelbeobachtungen verbracht. Ich hätte also auch Biologe werden können – wenn man mich nicht von der Schule geschmissen hätte.

Max: Den Draht hatte ich leider nie.

Mutter: „Die Neue Zeit“, Musikvideo von Jörg Buttgereit (1996)

Wie konservativ war denn Euer Elternhaus? Habt Ihr dagegen opponiert?

Max: Das war schon sehr konservativ. Bei mir ging das damals los, ich habe Punk im Radio gehört, John Peel hat die Sex Pistols gespielt, und ich dachte, endlich kommt mal so Musik, die nicht nur hart anfängt, sondern auch so hysterisch weitergeht. Ich bin dann nach England gereist und habe mir das dort direkt alles angeeignet.

Wolfgang: Du hast diese Punk-Sachen früher mitbekommen als ich. Ich bin ja fünf Jahre älter und war erstmal misstrauisch. Ich war erst großer Udo-Lindenberg-Fan, mochte aber auch Can. Und Max kam dann mit den Sex Pistols. Dafür habe ich noch ein, zwei Jahre länger gebraucht, bis ich so richtig kapiert habe, was da eigentlich passiert ist. Unsere Eltern sind eigentlich konservativ, aber gleichzeitig auch in der Praxis unglaublich liberal. Wir haben oft wildfremde Leute nach Hause gebracht. Das durften alle anderen Nachbarn nicht. 

Max: Ich habe auch Leute mitgeschleppt, die sahen wesentlich schlimmer als ich aus, mit Irokesenschnitt oder so. Ich habe mich immer gewundert, dass meine Mutter eigentlich total nett und gastfreundlich war. „Darf’s noch ein bisschen davon sein? Ach, Sie sind Vegetarier? Dann mach ich Ihnen einen Blumenkohl…“

Wolfgang: Ich brachte mal Hans-Werner Marquardt (Anm. d. Red.: später langjähriger Kulturchef der B.Z.) mit, der mit 16 total feminin war und als schwul gehänselt wurde. Er kam rein, und ich dachte, mal sehen, was meine Mutter wohl sagt, das kann ja was werden. Und sie sagte nur: „Hach, der ist so nett, der ist so selbstbewusst.“

Max: Also  die Eltern zu provozieren von wegen „Ich zeige Dir jetzt mal krasse Typen“, das ging überhaupt nicht. Die waren immer wenig beeindruckt bzw. fanden die dann total nett. Was ich umgekehrt so nie mitgekriegt habe. Wenn ich zu Besuch war bei irgendwelchen Kindern, da galt ich immer als der Böse, der die irgendwie rumgedreht und zu Punk Rock verführt hat, der ihnen die Haare geschnitten hat…. Stimmte ja auch alles.

Wolfgang: Christoph Schlingensief hat ja total darunter gelitten, dass seine Eltern nicht die gleichen Sachen toll fanden wie er. Wagner war für ihn z.B. sehr wichtig. Das Problem hatten wir nie. Als ich meiner Mutter 1987 sagte,  dass ich nach Tokyo eingeladen wurde, hat sie zwar gesagt, „Mit dieser Stimme? Du schreist doch nur, früher hast Du so schön gesungen.“ Aber das hat mich nicht verletzt, ich mag ja die Musik, die sie hört, auch nicht. Also Maria Hellwig. Irgendwann in den 80ern hat sie dann mal für die Tödliche Doris gesungen. Ich habe ihr gesagt, wir singen das ganz schön, ich schreie auch nicht, aber der Text ist krass: „Über-Mutti“ und „Mit Inge Viett und Betty Barclay auf Du und Du“, ein Lied über diese RAF-Terroristin und eine Modeschöpferin. Das hat sie ganz brav mitgesungen.

Stabil/Fragil, die erste und bislang einzige gemeinsame 7″-Single von Wolfgang und Max Müller (Heft-Beilage zu get happy!? Magazine #6, 2014)

Habt Ihr beide Euch damals schon intensiv ausgetauscht?

Max: Nee, überhaupt nicht. Du hast mich manchmal mitgenommen in die Partykeller. Und das war für Dich bestimmt total schrecklich, den kleinen bekloppten Bruder mitzunehmen.

Wolfgang: Habe ich nicht mehr in Erinnerung. Aber ich kann mich auch nicht erinnern, dass das ganz toll war, dass ich stolz meinen kleinen Bruder zeigte.

Max: Nee, überhaupt nicht. Das hast Du mich auch immer spüren lassen!

Dann seid Ihr nach Berlin gezogen, Wolfgang 1979, Max 1981.

Wolfgang: Ich bin vorher immer schon rübergetrampt. 

Max: Ich auch. Da hatte ich schon gemerkt, da wirst Du überhaupt nicht angeguckt, da kannst Du Dich einfach so frei bewegen, wie Du willst. Außerdem gab es dort keine Wehrpflicht, das war auch praktisch.

1981 habt Ihr dann gleich schon ein gemeinsames Projekt realisiert, den Kurzfilm Das Leben des Sid Vicious.

Max: Zu der Zeit habe ich bei Niki Utermöhlen gewohnt. Und ich habe ihm einfach mal morgens gesagt: Hey, das wäre doch cool, wenn wir das Leben des Sid Vicious mit Kindern verfilmen! Niki hat dann das Filmmaterial besorgt, ich habe das Drehbuch geschrieben. Es ist eigentlich aus einem Witz heraus entstanden.

Szenenbild aus „Das Leben des Sid Vicious“

Wolfgang: Den Film haben wir damals in meiner Wohnung vertont. Diese Sachen haben alle eine wahnsinnige Wirkung gehabt, auch heute noch. Durch die Sounds und auch weil er so schmuddelig gedreht wurde, kriegt er eine besondere Brutalität.

Wolfgang hat ja seine Eindrücke vom Berlin der 80er sehr detailliert aufgeschrieben. War das auch Dein Berlin, Max?

Max: Ja, es gab ja auch gar nicht so viele Läden zu der Zeit, das hat sich alles vor allem in Schöneberg abgespielt. Ich habe in der Bülowstraße gewohnt bei Leuten, die das Risiko betrieben haben. Aber wir haben natürlich nicht nebeneinander gesessen jeden Abend.

Wolfgang: Wir waren nicht so ein typisches Bruderpaar, das zusammen immer im Doppelpack aufgetreten ist.

Wolfgang gibt in Subkultur Westberlin Auskunft über sein öffentliches Künstlerleben, sein Privatleben bleibt aber im Hintergrund. Bei Mutter singt Max zwar oft aus der Ich-Perspektive, lässt aber offen, wie authentisch oder fiktiv die jeweilige Position ist. Wie viel Biographisches scheint in Euren Arbeiten durch?

Max: Meine Sachen sind nicht autobiografisch. Dann wäre ich ja ein völliger Psychopath. Man muss die Sachen ja auch nicht alle erlebt haben. Es sind persönliche Haltungen drin, ganz vieles habe ich mir aber auch einfach ausgedacht, das hat überhaupt nichts mit mir zu tun.

Wolfgang: Mein Buch ist in gewisser Weise biografisch. Es ist abstrakt, aber gleichzeitig wird eine Person dahinter sichtbar, die versucht, sich ein paarmal abzuspalten. Es wäre albern zu sagen, ich wäre neutral, das geht gar nicht. Bei Max geht es, glaube ich, nie um persönliche Befindlichkeiten im Sinne von „ich bin so und so“…

Max: Es gibt schon Ausnahmen. Ein paar Sachen sind ja ganz direkt.

Wolfgang: „Es juckt, ich kratze“?

Max: Nee, das hat ja nun überhaupt nichts mit mir zu tun. Da gehts um Neurodermitis… Ich weiß nicht, ich habe ja so viel Platten gemacht. Ich habe mir da ehrlich gesagt noch nie so viele Gedanken gemacht. Wichtig ist, dass es sich gut und richtig anfühlt und nicht peinlich klingt. Das merke ich spätestens beim Singen. Sobald man etwas, das geschrieben noch gut klingt, laut ausspricht, merkt man, wie lächerlich das ist. Wenn es nicht passt, muss man nach einer Entsprechung suchen. So mache ich es immer, ich schreibe erst und dann spreche ich es laut vor mich hin, und dann merkt man, oh Gott, das ist ja total blöd.

Wenn man die ersten Mutter-Platten hört, könnte man denken, dass Du extrem schlechte Laune hattest zu der Zeit.

Max: Ja, das wird immer gesagt, „die Band gilt als schwierig, das sind totale Psychopathen“. In einem Interview mit Kerl (Anm. d. Red.: Kerl Fieser, ehemaliger Mutter-Bassist) hieß es einmal, „Ich dachte, ihr seid alle drogenabhängig, freut mich ja, dass ihr so gut drauf seid!“ 

Wolfgang: Ich wurde mal bei einem taz-Interview von Julian Weber gefragt, „Ihr wart ja damals alle auf Drogen, oder?“ Nein. Das ist auch so ein Stereotyp. Zumal ich viele Leute kenne, die Drogen genommen haben und denen es heute blendend geht. Andere bekommen mit 40 einen Herzinfarkt oder wie Schlingensief Lungenkrebs, ohne je geraucht zu haben… Und dann hat er daraus den Kurzschluss gezogen, Wolfgang Müller wäre immer nüchtern gewesen und Nick Cave immer auf Koks. Aber darum ging es gar nicht. Ich war nicht immer nüchtern und Nick Cave kenne ich gar nicht persönlich. Wahrscheinlich war ich auf Koks, als ich das Interview gegeben habe (lacht). Ich glaube, es gibt so einen Hang zur Vereindeutigung, um so Kontraste und Spannungen für Leser herzustellen, der eine ist dann ganz nüchtern und der andere total im Rausch. Totaler Blödsinn.

Max: Das sagt ja auch nichts über die Kunst oder die Musik aus. Das ist eine ganz dumme Folgerung. Wenn es ganz krass klingt, denkt man dann sofort, die leben im Keller oder was? Auf so eine Idee würde ich nie kommen.

Wolfgang: Marquise de Sade wird auch nicht den ganzen Tag mit der Peitsche herumgelaufen sein.

Max: Na, das weiß man nicht!

Wolfgang Müller in Nekromantik 2 von Jörg Buttgereit (Szenenbild)

Ihr seid bzw. wart ja beide die Köpfe Eurer jeweiligen Formation. Wie demokratisch werden denn da die Entscheidungen über kreative Fragen getroffen?

Max: Gar nicht. Bei Euch war es ja eher anders, bei uns hat sich das eigentlich im Lauf der Zeit so entwickelt. So ist es ja meistens. Einer hat eine möglichst konkrete Idee, was es sein sollte und wo es hingehen könnte. Das können nicht alle zusammen tragen. 

Wolfgang: Ich glaube, ich war da am Anfang noch naiver. Ich habe Die Tödliche Doris mit Niki Utermöhlen gegründet, einem Kommilitonen von der Hochschule der Künste. Der Gedanke war, wir machen einen Popstar ohne Körper, aus den ganzen Definitionen, die von außen kommen, uns gibt es also gar nicht. So wie bei den Einstürzenden Neubauten Blixa der Kopf ist, das wollten wir nicht. Wir wollten einen Popstar konstruieren, der nie in Erscheinung tritt. Und dann gab es ziemlich schell Erfolg und Resonanz, schon 1981 wurden wir zur documenta 7 eingeladen. Für mich war es immer wichtig, ein Kollektiv mit wechselnden Mitgliedern zu haben. Vielleicht war ich ein bisschen hippiesk naiv, dass wir alle gleichberechtigt sind. Das führt natürlich bei manchen Leuten auch zu Irritationen. Wie Max schon gesagt hat, es gibt eben Individuen, die dann am Ende hauptsächlich die Texte schreiben oder die Konzepte entwickeln.

Max: Wir haben das ganz früh gemerkt, da war auch keiner sauer, wenn er sich zurücknimmt, weil ein anderer tatsächlich die besten Ideen hat. Das würde ich andersrum genauso machen. Das merke ich jetzt auch. Wenn der Bassist ein fertiges Stück mitbringt, dann wäre ich ja blöd, das nicht zu nehmen, nur weil es nicht von mir ist.

Wolfgang: Bei uns war die Frage der Urheberschaft nicht so klar, weil wir immer mit einer imaginären Person gearbeitet haben, die nie anwesend ist, die immer am Telefon verleugnet wird, die nicht mitmacht. Weil dieses Bild aufgebaut wurde, waren diese Fragen der Urheberschaft auch nicht ausgesprochen. Man sieht das natürlich heute viel deutlicher, welcher Anteil von wem stammt, würde ich mal so behaupten. Die Hierarchien waren bei Mutter von Anfang an vielleicht ein bisschen klarer.

Max: Wir sind ja auch angelegt wie eine klassische Rockband. Mehr wollte ich auch nie sein. Das habe ich auch immer als solche begriffen und nicht als Kunstgruppe. Vier Leute, Bass, Gitarre, Schlagzeug, bumm, geht gut ab, macht Spaß.

Mutter live im Hebbel am Ufer, Berlin, 2014 (Foto: F. Castenholz)

Wolfgang: Tödliche Doris war hingegen ein Projekt zur Auflösung von Rock- und Popmusik mit den Mitteln von Klang und Musik. Blixa war bei uns im Studio und hat die erste LP gemischt. Das haben wir bis auf ein Stück alles rückgängig gemacht, weil er versucht hatte, die Musik musikalischer zu machen. Und das war genau das Missverständnis, es sollte sich gerade so stümperhaft und so roh anhören, wie es gewesen ist. Es ging um Transparenz.

Max: Bei uns war’s genau umgekehrt. Die Musik war anfangs so dilettantisch, da hieß es, „kannste das nicht gerade rücken, mach mal ein bisschen Hall drauf…“ Aber mit der Entscheidung für die Veröffentlichung lässt Du Fehler dann dann ja auch ganz bewusst drin.

Habt Ihr bei Mutter mal überlegt, mit einem Produzenten zu arbeiten, der bei Euch seine eigene Handschrift verwirklichen kann?

Max: Das ist genau der Punkt. Produzenten wollen sich verwirklichen. Vielleicht gibt’s die ja irgendwo, aber ich kenn solche tollen Produzenten nicht, die tatsächlich gucken, was ist das und wie mache ich das möglichst Beste draus, statt Dir die ganze Zeit etwas über Mikrofonierung zu erzählen und wie man die Gitarre am geilsten aufnimmt.

Es gibt ja bei deutschen Rockbands die Tendenz zur Moses-Schneider-Platte.

Max: Aber es gibt anscheinend nur den. Ich find das auch schon viel zu limitiert. Ich höre diesen Namen ja auch immer. Er nimmt die Bands ja immer live auf, und ich weiß gar nicht, ob das mit uns überhaupt funktionieren würde. Das sind ja alles klassische Rockbands, mit denen er arbeitet. Ich glaube, bei uns ist das schwierig, weil wir das nicht erfüllen bzw. kippt das in irgendwas anderes um. Und damit wissen die dann nichts anzufangen und haben auch überhaupt keine Idee, wie man das umsetzen könnte. Da ist das Denken doch sehr begrenzt. Es gibt hier keinen Rick Rubin, der das tatsächlich so radikal auf eine gute Art total umschmeißt und was ganz anderes draus macht oder genau das Richtige herausholt. Das sehe ich hier überhaupt nicht, es ist alles sehr klein und begrenzt und es gibt kein abstraktes Denken, auch mal was zu wagen. Ich habe immer gesagt, mach damit, was du willst, hier hast Du die Musik, da kannst Du echt reinhauen. Und letztlich sollte ich dann doch immer daneben sitzen, und er hat geguckt, was ich dazu sage, um sich abzusichern.

(Das Titelfoto aus dem Jahr 1981, das Wolfgang und Max Müller im SO36 zeigt, stammt von Anno Dittmer, dem wir herzlich für die Zurverfügungstellung danken.)

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